23. April 2013

Autoreninterview Barbara Kühnlenz zum Welttag des Buches

von der Verlegerin Andrea el Gato (Verlagshaus el Gato)

Eine besondere Autorin habe ich mir für diesen besonderen Tag aufgehoben.

Sie hat im Verlagshaus el Gato bereits zwei Romane veröffentlicht. In zahlreichen Anthologien hat sie bereits mitgewirkt, sie hat eine ganz besondere Sprache und eine sehr starke Ausdrucksweise. Barbara Kühnlenz.

Bitte begleitet mich heute nach Berlin und lest die Antworten von Bärbel Kühnlenz:

Was bedeutet dir das Schreiben? Und wieso?

Das Schreiben ist für mich ein Mittel, um meine Gedanken und Fantasien anderen mitzuteilen, obwohl ich auch dadurch immer der Außenseiter bleibe, der ich schon während meiner Kindheit, Schulzeit und auch später immer gewesen war. Mich interessieren nicht nur Bücher, sondern auch die Sprache als Ausdrucksmittel. Ich beschäftigte mich mit ca. 20 Büchern über Stilkunde und Etymologie, Umgangssprache und gutes Deutsch, Synonyme und Antonyme, Psychologie und Medizin und noch vielen mehr. Lesen und Schreiben gehören nach meiner Meinung unmittelbar zusammen. Durch das Lesen dringe ich in die Gedankenwelt anderer Autoren ein und setzte meine Erkenntnisse im eigenen Schreiben um. Das bereitete mir nicht nur Spaß, sondern ist auch gleichzeitig ein Untertauchen in die eigene Kreativität, die mich jahrelang immer tiefer in die Fotografie eindringen ließ, sodass ich vor dem Fotografieren das fertige Bild im Kopf komponiert habe. Auf diese Weise entstanden auch meine Kurzgeschichten und Romane. Besonders nach der Wende ist das Schreiben zum Mittelpunkt meines Lebens geworden. Ich brauche meinen Gedanken keine Zwänge mehr aufzuerlegen und habe dadurch ungeheure Freude am Schreiben. Alles, was ich während der DDR-Zeit schrieb, blieb in der Schublade und durfte nun ans Licht kommen. Das Schreiben erzeugt in mir ein außergewöhnliches Glücksgefühl und ist somit Lebensinhalt und Vergnügen zugleich.

Wie kam es, dass du ein Buch schreiben wolltest? Kam dir ganz spontan der Gedanke oder gab es einen Auslöser?

Lesen gehört schon seit meinem 5. Lebensjahr zu meinen Leben, obwohl die Fotografie zunächst das eigene Schreiben in den Hintergrund drängte. Doch nebenbei schrieb ich Gedichte und erzählte mir als Kind im Stillen eine Endlosgeschichte, die aber nie schriftlich festgehalten wurde. Leider gab mir die DDR-Literatur nicht das Hochgefühl, das ich beim Lesen eines Buches erwartete. Da riet mir mein Mann: „Schreib doch deinen eigenen Roman!“, und ich begann sofort mit meinem ersten Roman, den ich zunächst „Traumtänzer“ nannte und der im vorigen Jahr unter dem Titel „Von Janusköpfen und Kippfiguren“ bei Dir im Verlag erschienen ist. Damals jedoch landete er in der Schublade, denn kein DDR-Verlag hätte ihn publiziert. Möglicherweise hätte ich noch mit anderen Konsequenzen rechnen müssen. Nach Öffnung der Mauer in Berlin stürmten mein Mann und ich alle Buchläden in West-Berlin, und ich fing noch vor der offiziellen Wiedervereinigung an der Axel-Anderson-Akademie/Hamburg mit dem Fernstudium „Die große Schule des Schreibens“ an. Während dieser Zeit reifte die Idee für „Schattensprung“. Da mich Literatur und die deutsche Sprache immer mehr fesselten, setzte ich meine literarische Ausbildung am ILS Hamburg mit der Fachrichtung „Germanistik und Literatur“ fort. Auch im vergangenen Jahr verführte mich die Akademie der Zeit zu einem Fernseminar über Gegenwartsliteratur. Seit vielen Jahren ist das Schreiben neben Lesen und Fotografieren außer meiner Familie mein Lebensinhalt.

Hast du dich dann einfach hingesetzt und losgeschrieben?

Nein. Die Thematik entsteht bei mir zwar meist spontan, aber ehe ich mit dem Schreiben beginne, entwickle ich den Roman vollkommen im Kopf. Dabei kommen mir übrigens nachts, wenn ich nicht schlafen kann, die besten Ideen. Sie halte ich gleich als in Stichpunkten auf einem Blatt Papier handschriftlich fest. Nachdem der Text gedanklich konzipiert ist, fange ich mit dem Schreiben des Manuskriptes an.

Wie viel Zeit hast du für die Vorbereitung benötigt und wie viel Zeit fürs Schreiben?

Die Vorbereitung mit allen Recherchen dauert oft sogar Monate, während das Schreiben innerhalb von Wochen geschieht. Danach beginnt für mich jedoch die richtige Arbeit am Text. Ringen um jeden Begriff, alltägliche Formulierungen durch treffende ersetzen, Dialoge schleifen, Kapitel verändern und noch vieles mehr, solange bis der Text die Gestalt annimmt, die mir anfangs vorschwebte. Das Manuskript überarbeite ich oft zehnmal und mitunter auch noch öfter.

Deine Geschichten handeln hauptsächlich in der ehemaligen DDR. Hat das eine bestimmte Bewandtnis?

Darauf gibt es mehrere Antworten. Ich ertrug die Entwicklung der DDR vom Anfang bis zum Schluss, verbrachte also meine Kindheit, meine Jugend und einen großen Teil meines erwachsenen Lebens in dieser Staatsform. Den Mauerbau und die Wende erlebte ich in Berlin, der geteilten Stadt, hautnah mit. Erfuhr in der eigenen Familie das Leid der Trennung von Verwandten und Freunden durch den Bau der Mauer. Dadurch bin ich natürlich ein Zeitzeuge, der auch etliche Klischees durchbrechen kann.

Außerdem möchte ich die Bewohner in den alten Bundesländern über unser Leben in der DDR informieren. Als wir im Sommer vor der offiziellen Wiedervereinigung an die Nordsee fuhren- dicht an die dänischen Grenze- merkte ich, wie stark das Interesse an unserem Leben in der DDR war. Sogar am Strand sprach mich eine Bewohnerin aus dem Weserbergland an, die noch nie mit Menschen aus der DDR in Berührung gekommen war. Sie interessierte sich brennend, wie wir gelebt haben. Es war ein sehr unterhaltsames Gespräch, und ich spürte bei ihr nicht nur Neugier, sondern aufrichtige Wissbegierde am anderen Teil Deutschlands, den sie nur aus den Medien kannte. Aber auch für die Jüngeren in Ost und West möchte ich einige Tabus brechen. Die Erinnerung an einen deutschen Staat, den es nun schon lange nicht mehr gibt, darf nicht verloren gehen. Aber nicht nur deshalb handeln meine Romane hauptsächlich in der ehemaligen DDR. Die Kultur und die Bräuche, die Verbote und Strafen, unsere Lebensweise und auch die Tricks, durch die Maschen der Gesetze zu schlüpfen, kenne ich gut, und sie dürfen nicht verschwinden. Meine Romane sollen Mahnung und Erinnerung zugleich sein. „Schattensprung“ und „Streulicht“ vereinen die beiden Gesellschaftsordnungen. Wobei in „Streulicht“ auch die Schattenseiten der neuen Zeit offenbart werden. In „Von Janusköpfen und Kippfiguren“ dagegen agieren die Figuren mitten im Realismus der DDR. In dieser Zeit dominierten Zwang und blinder Gehorsam dem Staat gegenüber, während in der „Die Lichtmalerin“ dargelegt wird, dass die psychischen Aspekte der Menschen in Ost und West auch während der Trennung immer gleich waren.


Wie stark arbeitest du die Charaktere heraus?

Für jede Figur schreibe ich eine Biografie. Ich weiß dann, wer diejenige ist, was ihr widerfahren ist, was sie von ihrem weiteren Leben erwartet. Doch der Charakter jeder Einzelnen mit seinen Schwächen, Stärken und Vorlieben verändert sich nicht.

Schlummern noch weitere Buchprojekte in deiner Schublade und wann können wir mit einer weiteren Veröffentlichung mit dir rechnen?

Durch meine Gedanken schwirren noch etliche Romanideen; in meiner Schublade liegen momentan fünf mehr oder weniger durchdachte Manuskripte. Außerdem befinden sich bei Dir weiterhin die Romanmanuskripte von „Streulicht“ (soll in diesem Jahr veröffentlicht werden), „Die Lichtmalerin“ (Veröffentlichung wahrscheinlich 2014), die Weihnachtsanthologie (2. Auflage in diesem Jahr?) und das Anthologiemanuskript „Umbrüche“ (Veröffentlichung ungewiss).

Augenblicklich erstelle ich gerade eine Fotoshow, die ich „Blütenträume“ nennen werde, und entwerfe nebenbei einen neuen Roman mit dem Titel „Jenseits aller Herrlichkeit“. Eventuell wird er zum Jahresende beendet werden. Während ich zu Beginn meines Schreibens überwiegend Erzählungen schrieb, dominiert jetzt immer mehr der Roman, vermutlich analog zu meiner Endlosgeschichte in der Kindheit. Wenn es mir meine Lebensuhr erlaubt, werde ich vielleicht alle vorhandenen und zukünftige Romanideen realisieren können.

Ich danke Dir, dass ich in dem Interview meine Gedanken und Emotionen zum Thema Schreiben und Lesen darlegen durfte.

Bärbel, und ich danke dir.


 

Kommentar von ClauDia (Claudia Leonhardt)
April 23, 2013 um 6:29 pm Uhr

Ich hatte das Vergnügen, Bärbel persönlich kennenzulernen und die Janusköpfe liegen mir persönlich sehr am Herzen *grins*

Schattensprung ist ein Buch, dass einen noch lange nach dem Lesen nicht loslässt. Ich glaube, zu diesem Buch habe ich meine erste Rezi geschrieben, weil es mich so beeindruckt hat.

Beide Bücher kann ich Leselustigen wirklich empfehlen, und Bärbels Sprache ist eine ganz besondere und auf ihre eigene Art schön, wenn man sich eingelesen hat.
Lest die Bücher!
Liebe Grüße, Bärbel ♥ danke Andrea ♥
Claudia (Lektorin)