Dieses fiktive Interview hätte ich möglicherweise meinem Sohn (F) gegeben, wenn ich (B) dazu mental noch in der Lage gewesen wäre bzw. über mein Ableben hätte reflektieren können. In dieser Form hat er es sich ausgedacht nach meinem Tod am 30.09.2024. Somit ist es seine Art des Abschieds. Die Interview-Form sieht er als eine Hommage für mich als Autorin.
F: Wie hast Du Deine letzten Tage empfunden, nachdem Du keine Nahrung mehr wolltest?
B: Es war erleichternd und irgendwie natürlich, nicht mehr Essen zu müssen. Das Essen war so belastend, jeder Bissen ein Kampf und das Schlucken war so beschwerlich. Glücklicherweise hatten wir rechtzeitig verfügt, den ganzen Prozess natürlich ablaufen zu lassen ohne künstliche Ernährung oder andere Maßnahmen.
F: Fehlte Dir dann nicht die Kraft?
B: Kraft, wofür? Ich konnte ja schon lange nicht mehr laufen, schlecht sitzen und liegend war es am wenigsten beschwerlich. Mental war ich schon lange unterwegs, diese Welt zu verlassen. Da hätte
auch keine Kraft zum Sprechen geholfen.
Was ich Papchen, Dir und N noch mitteilen wollte, habe ich geschafft zu vermitteln: Danke, dass ihr da wart -- in dieser Zeit und den Jahren zuvor.
F: Das stimmt, das hast Du auch ohne Worte geschafft. Hättest Du gerne mehr Zeit gehabt?
B: Direkt vor dem Ende? Nein. Nicht in diesem Zustand. Die letzten Tage waren ausreichend, um Abschied nehmen zu können -- sowohl von meiner Seite, als auch für Euch (Ehemann, Sohn und seine Frau
sind gemeint), denke ich.
Zu N hätte ich gerne eine engere Beziehung aufgebaut. Unsere inneren Kinder haben aber ein paar Male zusammen gelacht, das war schön.
Ich wollte mehr Zeit zu Hause verbringen und nicht im Heim sein. Das war schlimm, immer wieder von zu Hause weg zu müssen.
F: Ja, das hast Du oft gesagt und es hat uns auch sehr traurig gemacht. Doch leider war es anders nicht möglich. Papchen hat sein Möglichstes getan, um ...
B: ... Ja, das weiß ich! Auch, wenn ich mich oft nicht daran erinnern konnte. Alle haben sich bemüht, Papchen am Meisten, und auch die im Heim unter schwierigen Bedingungen.
F: Sicher besonders in der Corona-Zeit war es schwierig, so isoliert zu sein. Und zudem warst Du noch beim Eingewöhnen, als es damit los ging. Wie hast Du das geschafft?
B: Das war eine sehr schlimme Zeit! Wir konnten uns nur draußen am Gartenzaun sehen. Im Nachhinein hat Vergessen aber auch manchmal sein Gutes.
F: Ja, Erinnern aber auch. Wir werden uns immer an Dich erinnern und mit Deinen Romanen und Kurzgeschichten bleibst Du vielen Menschen in Erinnerung. Und viel von Dir als Mensch ist dort eingeflossen.
B: Trotzdem sind meine Geschichten fiktiv und keine Biographie.
F: Das sagtest Du immer und dennoch finden sich Anteile der fiktiven Charaktere in realen Menschen, denen Du begegnet bist. Und das Gesundheitswesen der DDR kanntest Du auch von Innen heraus ...
B: ... ja, stimmt. Das Schreiben war schon ein wichtiger Teil meines Lebens und hat mir geholfen, viele Dinge zu verarbeiten und oftmals aus realer Trauer fiktive Freude zu erschaffen. Wie ich sehe, macht Dir das Formulieren auch immer noch Freude. In Deiner Schulzeit hast Du das stärker genutzt und wir haben oft über meine Texte gesprochen, später leider nicht mehr.
F: Und es war schön, diese Zeit zusammen gehabt zu haben! Genauso, wie es immer schön war, gemeinsam über Fotografie zu reden, Fotos zu betrachten und zu analysieren. Fotografieren hat Dich zeitlebens begleitet, noch viel länger, als das Schreiben. Was hat es Dir bedeutet?
B: Mit Licht malen habe ich es genannt. Ich mochte den ganzen Prozess: Von der Bildgestaltung, einen Moment in meiner Wahrnehmung festzuhalten bis hin zum Entwickeln in meiner kleinen Dunkelkammer.
F: Daran kann ich mich gut erinnern: Unser Bad war zeitweise die Dunkelkammer, als ich Kind war. Das fand ich faszinierend. Letztlich hast Du mit beidem Geschichten erzählt: Mit Licht und mit Worten.
B: Und nun wird das Licht dunkler und die Worte werden leiser. Es ist Zeit für mich, zu gehen. Das letzte Stück des Weges unter diesem bunten Sternenhimmel, der hier für mich an die Zimmerdecke projiziert wird.
F: Wie ist es auf diesen letzten Metern? Wir wissen oft kaum, wie es ist zu leben, denn wir rennen von Aufgabe zu Aufgabe, um alle eigenen und fremden Erwartungen zu erfüllen. Alles geht so schnell und tausend Dinge wollen täglich Aufmerksamkeit. Wissen wir im Sterben mehr übers Leben?
B: Das Leben entgleitet mir ja gerade und das Sterben ist die letzte aller Aufgaben. Das fühlt sich ruhig und beängstigend an. Früher hätte ich mehr Worte dafür gefunden und in Metaphern verpackt, doch ich bin so müde. Das Ende ist simpel, wie fallende Sandkörner in einer Sanduhr. Oh, das war dann doch noch eine letzte Metapher.